Meinung

"Drang nach Osten": Deutschland hat die Lehren seiner Kriege gegen Russland vergessen

Jeder Expansionsversuch in die Ukraine endet für Deutschland mit einer schmählichen Niederlage, dem Ruin und nationaler Demütigung. Zwei Mal in einem Jahrhundert hat es der deutsche Imperialismus versucht, der dritte Versuch läuft aktuell. Wird Russland den Deutschen ein drittes Mal vergeben?
"Drang nach Osten": Deutschland hat die Lehren seiner Kriege gegen Russland vergessenQuelle: Sputnik © Iwan Schagin / RIA Nowosti

Von Wiktorija Nikiforowa

Deutsche Massenmedien berichten, dass Deutschland bereits am 16. Februar anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz ein bilaterales Sicherheitsabkommen mit der Ukraine abschließen könnte. Gleichzeitig häufen sich die Nachrichten über das Hineinpumpen von Geld in den deutschen militärisch-industriellen Komplex und den Übergang zu einem militaristischen Ansatz in der Berliner Politik. Das Land rüstet in rasantem Tempo auf, und der populärste Politiker ist derzeit der Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius – so etwas hat es dort seit Hitlers Zeiten nicht mehr gegeben.

Als Nachbarn sehen wir es deutlich: Die Deutschen sind wieder hingerissen von dem Traum, uns die Ukraine zu entreißen. Genau wie vor hundert Jahren.

Im Jahr 1918 besetzten die deutschen Truppen die Ukraine, veranstalteten eilig ein "Casting" und ernannten den zaristischen General und reichen Großgrundbesitzer Pawel Skoropadski zum Hetman. Sie beschlagnahmten den gesamten Weizen – die Selbstbedienung mit ukrainischem Getreide war das wichtigste wirtschaftliche Motiv der Besatzung – und begannen mit dem Aufkauf von Ländereien.

Die einheimische Bevölkerung war empört, es kam zu endlosen Aufständen – und zahllosen Massakern. Die Menschen starben massenhaft und flohen aus diesem unglücklichen Land, während der deutsche Kaiser Wilhelm dem Hetman "Sicherheit" und andere Annehmlichkeiten zusagte.

Der erste Versuch, die Ukraine von Russland zu reißen, scheiterte. Die Deutschen mussten ihre Truppen zurückziehen, verloren bald den Krieg und eigene Gebiete, der Kaiser wurde vom Thron gestürzt. Die "Weimarer Zeit" begann – das reichste Land Europas hungerte, fror und litt unter einer ungeheuren Inflation. Deutsche Frauen begannen, sich massenhaft zu verkaufen, eine Prostituierte konnte man für eine Tafel Schokolade kaufen.

Unter Hitler unternahmen die Deutschen einen neuen Versuch. Von 1941 bis 1944 existierte das Reichskommissariat Ukraine. Diesmal verzichtete man auf die Einsetzung eines Hetmans, doch davon abgesehen verlief alles ähnlich wie ein Vierteljahrhundert zuvor: Landwirtschaftliche Erzeugnisse und gesunde Arbeitskräfte wurden ohne Scham und Rücksicht aus der Ukraine nach Deutschland verbracht. Die empörte Bevölkerung ging zum Partisanenkrieg über. Dagegen wurde mit beispielloser Grausamkeit vorgegangen. Während der knapp drei Jahre als Reichskommissariat verlor die Ukraine etwa ein Drittel ihrer Bevölkerung.

Die zweite Besatzung endete wie die erste: Die Deutschen wurden verjagt, verloren anschließend auch diesen Krieg und wieder eigenes Land. Wieder einmal wurde ein besiegtes und entehrtes Deutschland in Kälte, Hunger und Armut gestürzt. Deutsche Frauen gingen wieder anschaffen, und der Preis war derselbe: eine Tafel Schokolade.

Das hat schon System, finden Sie nicht auch? Aber die sturen Teutonen haben sich jetzt entschieden, die zweimal augenscheinlich gewordenen historischen Gesetzmäßigkeiten zu ignorieren und zum dritten Mal Land- und Ressourcenraub im Osten zu versuchen. Im Grunde genommen geht Deutschland heute wieder seiner traditionellen imperialen Linie nach – es knechtet Slawen und kolonialisiert deren Land, bekämpft Russland und schöpft Erzeugnisse der ukrainischen Landwirtschaft sowie die wenigen dort noch verbliebenen Arbeitskräfte ab. Die Mittel haben sich leicht verändert, die Ziele und Absichten keineswegs.

Was in der Ukraine seit 2013 geschieht, ist eine neue schleichende Besatzung, diesmal in Zusammenarbeit mit den USA. Jetzt muss man sich in Washington, D.C. allerdings langsam von dem vergifteten Thema "Ukraine" distanzieren – es hat dem dort amtierenden Präsidenten keine schnellen Siege gebracht. Also müssen die Deutschen (samt ihrer übrigen europäischen Vasallen) den Krieg mit Russland nun allein weiterfinanzieren und das deutsch-US-amerikanische Marionettenregime in Kiew allein weiter aufrüsten. Kampfpanzer wurden bereits geliefert, derzeit wird über die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern debattiert.

Das bundesdeutsche Verteidigungsministerium hat einen längst vergessenen Begriff aus der Mottenkiste geholt: Deutschland solle "kriegstüchtig" werden, heißt es wieder. Das letzte Mal, als dieser Begriff in der deutschen Propaganda verwendet wurde, hieß der großdeutsche Kanzler Adolf Hitler. Seitdem hatte man sich davor gedrückt, aber heute ist der Revanchismus offensichtlich nicht mehr aufzuhalten.

Die Militarisierung hat zweifelsohne einen wirtschaftlichen Sinn. Die Deutschen beobachten, wie erfolgreich die militärisch-industriellen Komplexe der USA und Russlands sind und erkennen, dass die Rüstungsgüterproduktion ein Wachstumsmotor für die stagnierende Volkswirtschaft sein könnte. Anders als die USA oder Russland haben sie jedoch keine eigenen Ressourcen – Energie, Stahl, sonstige Grundstoffe – für die Förderung des militärisch-industriellen Komplexes. Heutige Politiker in Berlin stehen also vor einem Problem, das schon Hitler bekannt war. Und wieder sieht man dieselbe Lösung wie Hitler: Russland hat die Ressourcen – na: dann sollten wir uns darauf stürzen. Wieder in Mode ist also auch der "Drang nach Osten".

Ich frage mich, ob die Deutschen wissen, welche Gefühle sie jetzt bei den Russen geweckt haben? Da ist ein Politiker Norbert Röttgen, der vom Bundeskanzler Olaf Scholz das Eingeständnis verlangt, dass "die Ukraine wichtiger ist als Russland". Und er solle der Ukraine dringend die Taurus-Marschflugkörper liefern, mit denen man so bequem russische Städte beschießen kann. Was zum Teufel denkt er sich dabei?

Die Russen sind eigentlich ein sehr freundliches Volk. Wir hegen keinen Groll gegen die Ukrainer: Ja, wir befinden uns im Krieg mit ihnen, aber wir kämpfen ehrlich und verstehen sehr gut, was sie antreibt. Wir haben hier einen Streit unter Slawen – wenn wir ihn aus der Welt schaffen, werden wir mit Sicherheit wieder in Frieden leben.

Wir lassen uns dabei auch nicht von den Eskapaden einiger unserer slawischen "Brüder" irritieren, weil wir wissen, dass die völlig vom Westen abhängig sind.

Im Prinzip gibt es auch keine Bitterkeit gegenüber den USA. Ja, sie sind eine Supermacht, und wir sind eine Supermacht, wir spielen auf einem großen Schachbrett namens Erde. Hybride Kriege, Spezialoperationen, Naher Osten, Ukraine. Die Aussicht auf eine gegenseitige Vernichtung hält beide Seiten zurück und verhindert, dass die Emotionen hochkochen.

Aber die Deutschen werden anders behandelt. Es gibt kein Land auf der Welt, das sich gegenüber Russland so oft und so stark schuldig gemacht hat. Die abscheulichen Verbrechen, die die Deutschen in unserem Land begangen haben, sind so zahlreich, dass sie sich kaum noch zählen lassen. Das Blut von Millionen von Menschen, die von Deutschen getötet wurden, schreit noch immer zum Himmel und der Schrei lässt das Blut jedes Russen hochkochen. Das kann nicht vergessen werden, und jeder, der es versucht, wird ein Verräter an uns sein.

Haben wir uns an den Deutschen jemals für ihre Verbrechen gerächt? Nein, unser Militär hat eine unerhörte Milde gezeigt. Hätten wir einfach – Auge um Auge, Zahn um Zahn – das wiederholt, was die Deutschen bei uns getan haben, gäbe es heute kein Deutschland mehr.

Aber wir haben keine Vergeltung geübt. Unsere Soldaten versorgten stattdessen die Zivilbevölkerung mit Brot und Eintopf.

Stalin ("Die Hitler kommen und vergehen, das deutsche Volk bleibt bestehen") verhinderte, dass die Briten und US-Amerikaner ihren Morgenthau-Plan der völligen Zerstörung Deutschlands verwirklichen konnten – die Angelsachsen wollten das Land in mehrere kleine deindustrialisierte Stücke aufteilen und die Deutschen zum Aussterben verurteilen.

Gorbatschow erlaubte den Deutschen die Wiedervereinigung – übrigens waren die Briten und US-Amerikaner damals auch dagegen, Gorbatschow überzeugte sie, letztlich zuzustimmen. Wir haben den Deutschen ihr Land in einem Stück zurückgegeben, ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten – weder materielle Vorteile noch Sicherheitsgarantien. Es war eine für Russen typische große Geste des guten Willens: "Lasst uns das alte vergessen und in Freundschaft miteinander leben."

Deutschland ist das Land, das seine heutige Existenz Russland zu verdanken hat. Daran sollten deutsche Politiker denken. Jeder Expansionsversuch in die Ukraine endet für Deutschland mit einer schmählichen Niederlage, dem Ruin und einer Demütigung.

Das Land, das Bismarck 1870 zusammengefügt hat, steht wieder einmal am Rande des Zerfalls und der Zerstörung. Wird Russland Deutschland auch dieses Mal retten? Eine gute Frage.

Übersetzt aus dem Russischen und zuerst am 5. Februar 2024 auf ria.ru erschienen.

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